Bildergalerie
Foto: LWL/Diekneite
Technische Daten
Datierung: 1915/1916
Material: Papier, marmorierter Pappeinband
Maße: je 16,5 x 20 cm (B x H)
Der 12. Juni ist Welttag des Tagebuches. An diesem Tag des Jahres 1942 verfasste eine der wohl berühmtesten Tagebuchschreiberinnen der Geschichte, Anne Frank, ihren ersten Eintrag.
Auch die Sammlung des Preußenmuseums besitzt zwei „Tagebücher“ eines Mädchens, das in Kriegszeiten schrieb. Zwischen 1915 und 1916 füllte die Schülerin Wilhelmine Kölling (*1902) aus Reinsen (heute Ortsteil von Stadthagen) zwei Kladden mit beinahe täglichen Eintragungen – hier enden allerdings die Gemeinsamkeiten. Wilhelmines Texte sind nämlich überwiegend Schreibübungen. Naturbeobachtungen oder kleine Erlebnisberichte dienen ihr dazu, Rechtschreibregeln und grammatische Konstruktionen zu wiederholen. Hier und da hat ihr Lehrer die Texte mit einem „H.“ abgezeichnet. Ob es sich dabei um Hausaufgaben oder Diktate handelt?
Bemerkenswert und befremdlich – aber im Kontext der Zeit nicht ganz überraschend – erscheint es da, dass die Schülerin auch zu kriegerischen Themen schreibt. So folgt beispielsweise auf einen Eintrag über Iltisse am 6. Juni eine Beschreibung der Seeschlacht am Skagerrak (31. Mai 1916), im September 1916 wiederum ein Text über Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg. Auch die Feldzüge Friedrichs des Großen und Napoleons finden Erwähnung. Die Ereignisse des Weltkrieges dringen bis in die Klassenzimmer und in das Diktatheft der Dreizehnjährigen vor, der Kontrast zum übrigen Inhalt mag manche Leser:in ins Grübeln bringen.
Die beiden „Tagebücher“ der Schülerin sind noch in einer anderen Hinsicht kurios, denn in ihnen wechseln sich zwei unterschiedliche Schriften ab. Den Großteil der Einträge verfasst Wilhelmine in der sog. deutschen Kurrentschrift (von lat. currere „laufen“), die vom 17. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts die gängige Schreibschrift des deutschsprachigen Raumes war. In der Schule lernt und übt sie aber auch die lateinische Schreibschrift, wie sie heute gebräuchlich ist. An einigen Stellen verwendet sie sogar beide Schriften im selben Absatz.
// Text: Jonas Diekneite, Juni 2022
Literatur
Schon gewusst?
Die deutsche Kurrentschrift wird von Laien häufig als „Sütterlin“ bezeichnet. Dabei handelt es sich jedoch um eine spezielle, vereinfachte Form der Kurrent, die der Grafiker Ludwig Sütterlin (1865–1917) im Auftrag des preußischen Kultus- und Schulministeriums ab 1911 entwickelte. Beide Schriften sind für heutige Lesegewohnheiten schwer zu entziffern, für die Arbeit mit historischem Schriftgut – ob im Museum, im Archiv oder auf Omas Dachboden – ist ihre Kenntnis aber unerlässlich. Einen Eindruck des Sütterlin-Schriftbildes vermittelt übrigens ein Poesiealbum, das wir im August 2021 hier im Museumsschaufenster vorgestellt haben.
Der Sammlung und Bewahrung von Tagebüchern, Lebenserinnerungen und Briefen aus dem deutschen Sprachraum widmet sich seit 1998 das Deutsche Tagebucharchiv (DTA) in Emmendingen. Die Bestände des DTA werden sowohl der Wissenschaft als auch der Allgemeinheit zugänglich gemacht.
Foto: LWL/Diekneite
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