Kirchenliederbuch in Blindenschrift
Objektbeschreibung
Technische Daten
Datierung: 1885
Material: Pappe, marmoriert, Papier, geprägt
Maße: 34 x 25,5 cm (H x B)
Das Buch im marmorierten Pappeinband fiel vor Jahren über eine anderweitige Schenkung an das Museum. So unscheinbar das Objekt an sich ist, so kann es doch sprichwörtlich die Augen für ein interessantes Thema öffnen.
Wer heute an Blindenschrift denkt, verbindet damit den Namen des Franzosen Braille (1809 – 1852) und seines 1825 geschaffenen Punktschrift-Systems. Dieses setzte sich erst spät auch in Deutschland durch.
Das vorliegende Blindenbuch ist eine frühere Variante. Hier sind die Buchstaben des Alphabets auf festem Papier vergrößert durchgeprägt und tastbar. Die als Herausgeber genannte Königliche Blindenanstalt wurde in Preußen durch eine Kabinettsordre König Friedrich Wilhelms III. am 11. August 1806 begründet. Das markierte einen Wendepunkt im Umgang mit blinden Menschen, denen zuvor nur das Schicksal von Armut und Bettelei drohte. Durch den Privatgelehrten und Pädagogen Johann August Zeune (1778 – 1853) wurde hier in Deutschland die Förderung eigener Fähigkeiten sowie die Aus- und Weiterbildung der Blinden erstmals institutionalisiert vorangebracht. Als großes Problem erwies sich anfangs das Fehlen geeigneter Lehrmittel, die erst konzipiert und geschaffen werden mussten. Ab 1877 erweiterte sich die Einrichtung in Steglitz um Werkstätten und eine Berufsfachschule. Bis zu einer geregelten Eingliederung sehbehinderter Menschen in das Berufsleben sollte es allerdings noch Jahrzehnte dauern.
// Text: Carsten Reuß, Januar 2023
Literatur
- Dreves, Friedrich: „…leider zum größten Theile Bettler geworden…“ – Organisierte Blindenfürsorge in Preußen zwischen Aufklärung und Industrialisierung (1806-1860), Freiburg i. Br. 1998.
- Drave, Wolfgang / Mehls, Hartmut (Hg.): 200 Jahre Blindenbildung in Deutschland. Band 2, Würzburg 2006.
- Kohlstedt, Thomas / Tetzlaff, Sola (Hg.): 200 Jahre Blindenschule Berlin. Jubiläumsfestschrift der Johann-August-Zeune-Schule für Blinde und Berufsfachschule Dr. Silex, Würzburg 2006.
- Mehlitz, Hartmut: Johann August Zeune. Berlins Blindenvater und seine Zeit. Berlin 2003.
- Die Blinden-Anstalt. 1806; die von Rothenburgsche‘ Stiftung. 1838, in: Lisco, Friedrich Gustav (Hg.): Das wohlthätige Berlin. Geschichtlich-statistische Nachrichten über die Wohltätigkeits-Uebung Berlin’s, Berlin 1846 [Nachdruck 2006], S. 227f.
Schon gewusst?
Der geregelten Ausbildung und Schulzeit blinder Menschen fehlte zunächst eine Folgeperspektive. Der 1886 gegründete „Verein zur Beförderung der wirtschaftlichen Selbständigkeit der Blinden“ schaffte mit der Einrichtung von Wohnheimen und Arbeitsplätzen für Frauen und Männer Raum für eine weitere selbständige Lebensführung. Im Deutschen Blindenmuseum Berlin wird am historischen Ort die ganze Geschichte anschaulich und interaktiv erzählt.
Inklusion ist eines der wichtigsten Ziele des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL). Rund 90 Prozent des Haushalts fließen in soziale Aufgaben. Damit unterstützt der LWL Menschen mit Behinderungen dabei, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten: https://www.lwl-soziales.de/de/
Viele nützliche Informationen um das Thema Inklusion sowie eine umfangreiche Auflistung der Fachverbände finden Sie hier:
ABiD – Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland e.V.: https://www.abid-ev.de