Technische Daten
Datierung: vermutlich nach 1918
Material: Metallguss, bronziert
Maße: Höhe ca. 25,5 cm / Gewicht ca. 2,6 kg
In Deutschland rückt die Beschäftigung mit der kolonialen Vergangenheit immer mehr in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Viele Museen und Kultureinrichtungen haben es sich inzwischen zur Aufgabe gemacht, die deutsche Kolonialgeschichte in Ausstellungen und anderen Projekten zu beleuchten und aufzuarbeiten, zumal sich in den Sammlungen zahlreiche Objekte aus kolonialen Kontexten befinden. Auch das Depot des Preußenmuseums beherbergt solche Exponate, so etwa dieses Objekt: eine Büste, die einen deutschen Schutztruppensoldaten in idealisierter Form darstellt.
In der aktuellen Sonderausstellung „Schwarz weiß. Preußen und Kolonialismus“ ist die Büste des Schutztruppensoldaten noch bis zum 10. September 2023 zu sehen. Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt des LWL-Preußenmuseums Minden mit Studierenden der Universität Bielefeld. Das Museumsteam und die Studierenden haben intensiv über Präsentationsformen und koloniale Sprache diskutiert. Als „Schutztruppe“ wurden die militärischen Verbände bezeichnet, die in den Kolonien des Deutschen Kaiserreiches zwischen 1891 und ihrer Auflösung 1919 eingesetzt wurden. Ihre Aufgabe bestand darin, die Grenzen der damals als „Schutzgebiete“ bezeichneten Kolonien zu sichern, Aufstände niederzuschlagen und gegebenenfalls auch neue Territorien zu erobern. Der Begriff „Schutzgebiet“ wird in der Forschung kritisch betrachtet und daher in der Ausstellung nicht verwendet. Er entspringt einer kolonialen Perspektive, in der ein besetztes Gebiet als schutzbedürftig erklärt wird und so koloniale Machtverhältnisse verschleiert.
Die hier gezeigte Büste stammt aus dem Nachlass eines Soldaten aus Minden, der selbst zwischen 1904 und 1907 in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika als Soldat stationiert war. Deutsch-Südwestafrika, das heutige Namibia, war die einzige Siedlerkolonie des Deutschen Reiches, die einzige also, in der sich deutsche Auswanderer in größerer Zahl niederließen. Zwischen 1904 und 1908 fand hier der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts statt. Durch die deutsche Kolonialmacht in ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Existenz bedrängt, hatten sich die einheimischen Volksgruppen der Herero und Nama gegen diese erhoben. Unter dem Oberbefehl des preußischen Generalleutnants Lothar von Trotha wurde der Aufstand blutig niedergeschlagen. Den Kampfhandlungen und anschließenden Vergeltungsmaßnahmen fielen schätzungsweise 50.000 bis 70.000 Herero und Nama zum Opfer. Bis heute sind die Entschädigungsverhandlungen mit der Bundesregierung nicht abgeschlossen.
Nach langer Diskussion entschieden sich die Studierenden dazu, die Büste in der Ausstellung teilweise verhüllt zu präsentieren, um ihre heroisierende Wirkung zu brechen. Das Museumsschaufenster zeigt die Büste hingegen unverhüllt als Sammlungsobjekt.
// Text: Larissa Bekemeier / aktualisiert am 06.02.2023
Literatur
- Bundeszentrale für politische Bildung: Völkermord an Herero und Nama. Abkommen zwischen Deutschland und Namibia, in: Ebd. URL: [https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/335257/voelkermord-an-herero-und-nama-abkommen-zwischen-deutschland-und-namibia/#:~:text=Sch%C3%A4tzungen%20gehen%20davon%20aus%2C%20dass,der%20Herero%20wurden%20dabei%20ermordet.] (06.02-2023).
- Deutscher Museumsbund e.V.: Leitfaden. Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, Berlin 2021.
- Greve, Anna: Koloniales Erbe in Museen. Kritische Weißseinsforschung in der praktischen Museumsarbeit, Bielefeld 2019.
- Kazeem, Belinda, Martinz-Turek, Charlotte, Sternfeld, Nora: Das Unbehagen im Museum. Postkoloniale Museologien, Ausstellungstheorie und Praxis (3), Turia und Kant 2009.
- Neuner, Stephanie: Deutsche Kolonialgeschichte. Zur Neugestaltung der Dauerausstellung, in: Deutsches Historisches Museum, 16.09.2020, URL: [https://www.dhm.de/blog/2020/09/16/deutsche-kolonialgeschichte-zur-neugestaltung-in-der-dauerausstellung/] (06.02.2023).
Schon gewusst?
Nicht nur in Ausstellungen, sondern auch im öffentlichen Raum stellt sich die Frage nach dem Umgang mit problematischen Kunstgegenständen und Sammlungsobjekten. Um auf kolonial geprägte oder rassistische Darstellungen hinzuweisen und Diskurse über kontroverse Aspekte einer Figur oder ihrer Vergangenheit anzustoßen, wird daher über verschiedene Darstellungsformen diskutiert.
Vor Kurzem wurde zum Beispiel die Reiterstatue Kaiser Wilhelms I. in Stuttgart für mehrere Tage mit einem Tuch abgedeckt, um auf seine Rolle während der Kolonialzeit hinzuweisen. Auch im Park Sanssouci wurde die Büste einer Afrikanerin mit entblößter Brust teilweise verhüllt, um gegen die als erniedrigend wahrgenommene Abbildung der Frau zu protestieren.